Eine überraschende Meinung schwappte herüber aus dem Goslarer Verkehrsgerichtstag in die Diskussionsrunde des Goslarer Diskurs: Eigentum könne man nur an Sachen haben, aber nicht an Daten, bezogen dort Juristen eine Position gegen die Gedanken des Datenschutzes. Die NSA wird das freuen, die andere Fraktion beim Verkehrsgerichtstag oder beim Diskurs allerdings nicht. Hier geht es um den Schutz der Daten, die jedes Auto erhebt, gegenüber einer Nutzung durch andere, die der Fahrer oder der Fahrzeughalter dazu nicht berechtigt hat.
99 Prozent der Daten, die Sensoren in modernen Fahrzeugen ermitteln, bleiben in den Auto-Computern und sorgen dort für zuverlässige Funktion, Effizienz, Komfort und Sicherheit, schränkte Jürgen Bönninger, Geschäftsführer der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH ein, nicht ohne auf das Risiko hinzuweisen, das von dem übrigen Prozent Daten ausgehen kann.
Wir im vergangenen Jahr lieferte auch der E-Call, der automatisch Notruf über ein fest installierte Mobilfunkverbindung, schon das Thema für den Goslarer Diskurs. Der E-Call wird 2015 für alle in Europa neu zugelassenen Autos zur Pflicht. Niemand hat Zweifel an dem Sinn dieses Systems, das automatisch Hilfe zum Unfallort bringt, auch wenn die Insassen dazu nicht mehr in der Lage sind. Wie im vergangenen Jahr mussten die Teilnehmer feststellen, dass immer noch die gesetzlichen Regeln zum Umgang mit den Daten fehlen.
Natürlich haben die Automobilhersteller ein Interesse daran, E-Call-Daten so zu nutzen, dass sie selbst oder ihre Partner etwas davon haben und das System auf diese Weise gegenfinanziert wird. Der eigene Pannendienst organisiert nach deren Vorstellungen die Bergung des Autos und schafft es in eine Markenwerkstatt. Es gibt aber auch noch andere Pannendienste und Abschleppunternehmen, und es gibt auch Werkstätten, die kostengünstiger arbeiten, weil sie Rahmenverträge zum Beispiel mit Autoklubs oder Versicherungen unterschrieben haben. Die würden leer ausgehen, wenn die Daten nicht allen zugänglich sind. Am Ende würde der Autofahrer die Zeche zahlen. Vielleicht will er das sogar. Aber er muss es entscheiden können.
Es geht hier also nicht nur um Rettung, sondern auch um Wettbewerb in einem Markt, der zurzeit in Deutschland mehr als fünf Milliarden Euro wert ist. Das rief die Wettbewerbshüter in Brüssel auf den Plan. Auch das EU-Parlament hat sich damit befasst. Am Ende des Tages kam dabei heraus: Der E-Call wird eingeführt. Anschließend schauen wir uns einmal die Wettbewerbs-, Datensicherheits- und Datenschutz-Verhältnisse an und werden womöglich handeln.
Alle am Tisch – neben Bönninger Reinhart Dankert, Datenschutzbeauftragter des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Thomas Funke, Kartellrechtsexperte der Kanzler Osborne Clarke, Klaus-Jürgen Heitmann, Vorstand der HUK-Coburg-Versicherungsgruppe, Matthias Knobloch, Generalsekretär des Verbundes Europäischer Automobil Clubs, Dr. Uwe Thomas, Bereichsvorstand Aftermarket bei der Robert Bosch GmbH – waren sich einig: Hier entsteht das Risiko, dass sich Verhaltensweisen, die keiner will, längst eingeschliffen haben, bevor eine gesetzliche Regelung kommt.
Datzenschützer Dankert brachte eine ganz klare Definition auf den Tisch. Für alles, was vom Gesetzgeber – wie der E-Call – vorgeschrieben ist, muss eine gesetzliche Regelung bestehen. In allen anderen Fälle braucht man Standards, auf die sich im Falle des Automobils dessen Käufer verlassen können muss. Nun hört man aus einigen Forschungsabteilungen, dass sie ihren Umgang mit dem einen Prozent Daten so aufbauen, dass zunächst die Datensicherheit und dann auch der Datenschutz gewährleistet seien sollten. Andere handhaben das heute laxer. Von europaweiten Standards kann man also noch nicht sprechen.
Ein neues Gesetz zu bauen dauert länger als die Konstruktion eines komplett neuen Autos. Fünf Jahre braucht es in der Regel, bis Vorschriften durch sind. Dann sind sie von der Technologie längst überholt. Siehe E-Call, der auf der Mobilfunktechnik beruht, im Internetzeitalter nicht gerade der letzte Schrei für den hoffentlich nicht letzten Schrei eines Verunfallten. Es bleibt also nur die Hoffnung, dass die Beteiligten in Europa einen Weg finden, Standards und Technologie möglichst im Gleichschritt marschieren zu lassen.
Facebook-Nutzer werfen ihre Daten oft hemmungslos in die virtuelle Welt; die NSA scheint allmächtig zu sein – in dieser Situation besteht die Gefahr, dass gerade junge Menschen Datenschutz für ein Relikt aus uralter Zeit halten und andere sich dran gewöhnen, weil sie sowieso nichts daran ändern können. So kann eine scheinbar paradoxe Situation entstehen: Datenschützer und Automobilindustrie arbeiten Hand in Hand an Systemen, die dem Autofahrer transparent angeboten werden. Er muss wissen, welche Folgen eine Unterschrift für ihn selbst bedeutet. Schließlich geht es im schlimmsten Fall auch um das Aussageverweigerungsrecht eines jeden Beschuldigten, das nicht von seinem elektronischen Beifahrer ausgehebelt werden darf.
Sollte das mit den Standards nicht einmal in Europa funktionieren, so werden die einzelnen Hersteller sicher Verfahren anbieten, an denen man sie unterscheiden kann. Sie setzen in diesem Bereich nicht nur Image, sondern auch Markterfolge aufs Spiel. Beides werden sie nicht riskieren. Wohl aber kann Datensicherheit zu einem Verkaufsargument werden. (ampnet/Sm) / von Peter Schwerdtmann