151 EU-Parlamentarier stimmen gegen E-Call

Das Arbeitspensum, das sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg für gestern vorgenommen hatten, war nicht von Pappe und befasste sich mit insgesamt 32 äußerst unterschiedlichen Themen: Von der Eisenbahnsicherheit in Europa über den politischen Dialog mit Mittelamerika und die Gestaltung von Zigaretten-Schachteln bis zur sexuellen Ausbeutung und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter. Einer unter insgesamt 26 Tagesordnungspunkten befasste sich mit der „Einführung des bordeigenen eCall-Systems in Fahrzeugen“, das ab Oktober kommenden Jahres für alle neuen Personenwagen und Kleinlaster Pflicht werden soll.

68 Änderungen der ursprünglich von der EU-Kommission erarbeiteten Verordnungsvorlage musste der Text über sich ergehen lassen, vom Datenschutz bis zur Anordnung einer regelmäßigen Überprüfung der eingebauten Technik, was ganz besonders den TÜV und seine Konkurrenten freuen dürfte, da sie E-Call-Tests wohl kaum zum Nulltarif durchführen werden.

Was mit den staatstragenden Worten begann „Die Einführung eines in sämtlichen Fahrzeugen und Mitgliedstaaten verfügbaren E-Call-Dienstes ist seit 2003 eine der wichtigsten Prioritäten der EU im Bereich der Straßenverkehrssicherheit“ spaltet seit elf Jahren Befürworter und Gegner des Vorhabens in zwei Lager, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Keine Frage, Rettungsdienste, Feuerwehr und Polizei sollten bei einem schweren Verkehrsunfall so schnell wie möglich alarmiert werden, und das geht am besten, wenn das per Mobilfunk über Sicherheitszentralen geschieht, die zusätzlich über die Satellitennavigationsprogramme den augenblicklichen Standort des verunglückten Fahrzeugs erhalten. Ganz besonders war in diesem Zusammenhang der Datenschutz den Abgeordneten wichtig: „Die Hersteller müssen gewährleisten, dass die mit einem bordeigenen 112 eCall-System ausgerüsteten Fahrzeuge im notfallfreien Betrieb aufgrund des eCall-Systems nicht verfolgbar sind und dass keine dauerhafte elektronische Verfolgung des Fahrzeugs erfolgt.“ Wie das funktionieren soll, ließen sie offen.

2500 Menschenleben könnten nach Überzeugung der EU pro Jahr gerettet werden. Rettungskräfte sollen dank der Technik fast doppelt so schnell am Unfallort sein wie bisher. Die Kosten sollen angeblich weniger als hundert Euro pro Auto betragen.

Während beisielsweise der Experte für Verkehrssicherheit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Gero Storjohann, meint, „Die Einführung des E-Call ist im Interesse aller Verkehrsteilnehmer. Durch den Einbau des automatischen Notrufsystems in Kraftfahrzeuge kann die Zahl der Verkehrstoten auf unseren Straßen weiter reduziert werden“, halten zwei Europaabgeordnete dagegen.

Gesine Meißner, verkehrspolitische Sprecherin der liberalen Fraktion, kritisiert: „Wie bei allen neuen Vorschlägen steckt der Teufel häufig im Detail: Durch E-Call-Systeme sollen im Falle eines Unfalls automatisch Positionsdaten und Fahrtrichtung an die Notrufzentrale übermittelt werden. Eine rote Linie ist für mich aber dann überschritten, wenn diese Daten theoretisch auch genutzt werden können, um Bewegungsprofile von allen Autofahrern zu erstellen. Wichtig für die FDP war deshalb, dass Autofahrer die Freiheit haben müssen, das E-Call-System manuell auszuschalten Diese Wahlfreiheit wäre unkompliziert möglich gewesen – die Mehrheit des Parlaments hat sich heute aber für den gläsernen Autofahrer entschieden.“

Ihre Kollegin Nadja Hirsch kritisiert vor allem die Unbesonnenheit der Abgeordneten in Sachen Datenschutz: „Ob das persönliche Sicherheitsbedürfnis oder das Recht auf Privatsphäre überwiegen, sollte allein die Entscheidung des Fahrers sein. Daher hat FDP dafür gekämpft, dass die E-Call-Funktion nur optional ist und ausgeschaltet werden kann. Wir können nicht einerseits im Rahmen der öffentlichen Diskussion und Datenschutzreform mehr Datenschutzrechte für den Bürger verlangen, um ihn dann bei E-Call dieser Rechte wieder zu berauben.”

Drastisch formulierte Thilo Weichert, der Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein gegenüber Spiegel online: „Man sollte sich nichts vormachen: Bei solchen Systemen geht es nicht nur um Sicherheit. Es geht auch darum, Informationstechnik ins Auto zu packen, die für andere Dienste genutzt werden kann.“

Die E-Call-Verordnung des Europäischen Parlaments wurde in erster Lesung mit 485 Stimmen angenommen, bei 151 Gegenstimmen und 32 Enthaltungen. Damit hat mehr als jeder vierte Abgeordnete nicht zugestimmt. Doch nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird, denn ob die Verordnung tatsächlich schon im kommenden Jahr in Kraft tritt, bezweifelt die ACEA, die Vereinigung der Europäischen Automobilhersteller sehr. „Der Zeitpunkt Oktober 2015 hört sich sehr ehrgeizig an“, meint der Verband. „Ob bis dahin Infrastruktur und sämtliche Einrichtungen flächendeckend in Europa zur Verfügung stehen, ist zweifelhaft.“ Hans-Robert Richarz (ampnet/hrr)

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Die Seite "151 EU-Parlamentarier stimmen gegen E-Call" wurde am 27. Februar 2014 veroeffentlicht und am 27. Februar 2014 zuletzt aktualisiert.