Goslar Diskurs: Wer haftet für selbstfahrende Autos?

Mit entsprechend ausgerüsteten Fusion Hybrid erprobt Ford autonomes Fahren. Foto: Ford

Autonom fahrende Autos sollen die Zahl der Unfälle, Verletzten und Toten im Straßenverkehr auf nahezu null reduzieren. Doch bis diese Vision Realität wird, wird es wohl noch eine lange Zeit dauern. Zwar sind die technischen Voraussetzungen für das autonome Fahren in kontrollierter Verkehrsumgebung weitgehend vorhanden, zum Beispiel auf Autobahnen. Es hapert allerdings noch bei den rechtlichen, insbesondere den haftungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Und auch die Kfz-Versicherungen werden durch selbstfahrende Autos nicht überflüssig. Zu diesem Fazit gelangten jetzt die Teilnehmer am aktuellen Goslar Diskurs der von der HUK-Coburg gegründeten Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern (Goslar Institut).

„Wir sind heute auf dem Weg vom assistierten zum hoch automatisierten Fahren“, stellte Gerhard Steiger, Vorsitzender des Bereichsvorstands Chassis Systems Control bei Bosch, in der Diskussion fest. Elektronische Assistenzsysteme, die den Autofahrer beim Einparken ebenso unterstützen wie beim Spurwechsel und ihn sogar vor dem Einschlafen warnen, gibt es bereits. Als Nächstes werden teilpilotierte Systeme folgen, mit denen man etwa bei Stausituationen auf der Autobahn das Fahrzeug im Bereich bis 60 oder 70 km/h komplett selbstständig fahren lassen kann, kündigte Steiger an. Diese Technik soll im nächsten Jahr serienreif sein und dann auf den Markt kommen. Für sogenannte hoch automatisierte Systeme, die es dem Fahrzeug ermöglichen, sich selbstständig auf einer Autobahn von Einfahrt zu Ausfahrt zu bewegen und dabei je nach Situation selbst zu entscheiden, sieht der Bosch-Mann voraussichtlich Anfang der nächsten Dekade die Zeit gekommen. Dabei gehe man aber immer noch von einem Fahrer aus, betonte Steiger.

Bis Autos tatsächlich vollständig autonom, also ohne Lenkrad auf den heimischen Straßen unterwegs sind, wird es auch nach Ansicht von HUK-Coburg-Vorstand Klaus-Jürgen Heitmann noch lange dauern. Er rechnet damit, dass die Unterstützung beim Fahren durch elektronische Systeme sukzessive zunehmen wird – bis das Auto dann eines Tages eigenständig pilotiert. Das oberste Ziel des autonomen Fahrens, die Unfallzahlen zu senken, begrüßte Heitmann. Allerdings sei auch das vorerst Zukunftsmusik. Er berichtete beim Goslar Diskurs, dass laut einer Auswertung von HUK-Fachleuten die fahrerlosen Fahrzeuge des Internetriesen Google bei ihren inzwischen rund zwei Millionen zurückgelegten Testkilometern bislang schlechter gefahren seien als deutsche Autofahrer im Durchschnitt. Insofern erwartet Heitmann noch einen weiten Weg, bis dank autonomer Autos die Unfallzahlen drastisch sinken. Dennoch müssten sich die Versicherer auf diesen Trend einstellen, betonte er.

Das autonome Fahren sieht auch Automobil-Publizist Guido Reinking erst nach und nach in den Markt kommen. Er rät der Autoindustrie, vorsichtig zu Werke zu gehen, denn sollten autonome Autos in Unfälle verwickelt werden, entstünde ein großer Imageschaden.

Werner Hülsmann, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, sieht fehlende gesetzliche Regelungen im Hinblick auf die durch die Elektronik erhobenen Daten und die Haftungsfragen, die sich durch die steigende Zahl der Fahrassistenten ergeben können, als großes Hindernis. Es sei absehbar, dass Autofahrer bei Unfällen künftig versuchen könnten, die Schuld dem „Autopiloten“ zuzuschieben.

Nach aktuellem Recht haftet der Unfallverursacher. Mit dem Fortschreiten des autonomen Fahrens werde sich ein Teil des Risikos jedoch vom Fahrzeugführer auf die Autohersteller bzw. Importeure verlagern, erwartet der Jurist Dr. Thomas Funke. Als Beleg dafür führte er an, dass nach dem Willen der Bundesregierung das Verwenden eines Autopiloten grundsätzlich nicht als Fahrlässigkeit eingestuft werden soll. Funke hält es als Voraussetzung für die Markteinführung autonomer Fahrzeugtechnik für notwendig, rechtlich eindeutig zu klären, wer für Schäden verantwortlich sei. Dazu sei ein modernes, modifiziertes Haftungsrecht erforderlich, betonte er.

Das beste Mittel, um Unfallopfer zu schützen, sieht Klaus-Jürgen Heitmann im Festhalten an der Halterhaftung. Deshalb nimmt er auch nicht an, dass es zu dem Rückgang bei den Kfz-Versicherungsprämien um 45 Prozent bis zum Jahr 2030 kommen wird, von dem derzeit in einigen Medien die Rede ist. Auch der HUK-Coburg-Vorstand rechnet damit, dass mit zunehmender Verbreitung des Autos ohne Lenkrad die Rolle der Produkthaftung der Hersteller wachsen wird. Allerdings nicht, um die Halterhaftung abzulösen, betonte er.

Weiterhin große Unsicherheit im Zuge des Fortschritts der Elektronik im Auto konstatierten die Fachleute des Goslar Diskurses in Bezug auf die damit verbundene Datenerhebung. Die schöne neue Welt der autonomen Automobilität mit weniger Unfällen und Verkehrsopfern bringe eben auch eine neue Datenwelt mit sich, hieß es übereinstimmend. An den Daten ließen sich komplette Bewegungsmuster ebenso ablesen wie Hinweise zum jeweiligen Fahrverhalten. In dieser Hinsicht haben die Hersteller nach Meinung von Datenschutzexperte Hülsmann mehr Transparenz als bisher zu schaffen: welche Daten sie erheben, zu welchem Zweck dies geschieht und an wen sie diese weitergeben.

Anwalt Thomas Funke sieht derzeit noch eine „Wild-West“-Szenerie, in der „das Recht des Stärkeren“ gilt: Wer die Daten aus den Autos bekommt, werde sie kommerzialisieren, weil er daran nicht wirksam gehindert wird, meint er, setz aber große Hoffnung auf das neue EU-Datenschutzrecht.

Es mache Datenschutzrechtsverletzungen in Zukunft richtig teuer, sagte Funke. Die Wahlfreiheit des Verbrauchers müsse ebenso gestärkt werden wie der Wettbewerb im Service- und Ersatzteilmarkt, der immer stärker vom Datenzugang abhänge. Da es bislang rechtlich noch kein Eigentum an den maschinell erzeugten Daten gibt, hält der Jurist ein gesetzliches Update zu den Nutzungsrechten für dringend erforderlich.

„Daten sind das neue Gold“, formulierte es Automobilexperte Reinking. Mit ihnen seien ganze Geschäftsmodelle verbunden sind, von denen man zum Teil heute noch gar nichts ahne, so der ehemalige Chefredakteur der Fachzeitschrift „Automobilwoche“.

Für Bosch-Vorstand Steiger sind dies zwar Themen, die man im Hinblick auf das kommende autonome Fahren nicht ausblenden darf. Wichtiger erscheint ihm allerdings das Ziel, mit der neuen Technik immer mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer zu schaffen. Schließlich sei in mehr als 90 Prozent der Unfälle der Mensch der Verursacher. Häufigste Unfallursache sei nach wie vor Unaufmerksamkeit. Die neuen elektronischen Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren seien zwar noch nicht intelligenter als der Mensch, aber aufmerksamer, sagte er. Und vor allem: Sie werden nicht müde. Nach den Worten des Bosch-Vorstands könnte allein der Notbremsassistent, der jetzt zunehmend in die Autos eingebaut werden soll, rund 30 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Toten verhindern. (ampnet/jri)

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Die Seite "Goslar Diskurs: Wer haftet für selbstfahrende Autos?" wurde am 3. Februar 2016 veroeffentlicht und am 3. Februar 2016 zuletzt aktualisiert.